Bindungen bereichern

09.04.2024 Betreuung & Schutz

Für eine gesunde Entwicklung sind Kinder auf stabile Bezugspersonen angewiesen. Wir sprechen mit Prof. Dr. Alexander Grob, Leiter Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie an der Universität Basel, darüber, was gesunde Bindungen ausmachen.

Kurz zusammengefasst – was sind Bindungen und wie entstehen sie?

Unter Bindung versteht man eine enge emotionale Beziehung zu jemandem, zu dem oder der man sich hingezogen fühlt oder als abhängig erlebt. In der Entwicklungspsychologie verstehen wir unter Bindung die emotionale Beziehung des Kleinkindes zu seinen ständigen Betreuungspersonen. In der Regel sind dies die Eltern.

Kleinkinder wollen alles nur mit Mama machen, Teenager am liebsten gar nichts. Welche Bedeutung haben Bindungen in unterschiedlichen Lebensphasen?

John Bowlbys Bindungstheorie besagt, dass Säuglinge von Geburt an Nähe und Schutz zu einer vertrauten Person suchen. Unter dieser Voraussetzung kann das Baby seine Umgebung optimal erkunden. Je jünger das Kind ist, desto relevanter sind Eltern oder andere verlässlich erreichbare Bezugspersonen für eine sichere Erkundung der Welt. Mit zunehmendem Alter und besonders in der Pubertät beginnt jedoch eine Gegenbewegung: Jugendliche wollen und müssen sich loslösen, eigenständig die Welt erkunden und Regeln der Eltern brechen. Ziel hierbei ist die Erfahrung von Unabhängigkeit und Individualität. Im Verlauf der Pubertät realisieren Eltern und Jugendliche, dass eine neue Verbundenheit entstehen kann, ohne die emotionale Nähe des anderen infrage zu stellen.

 

Dieses Projekt hilft, folgendes UN-Nachhaltigkeitsziel zu erreichen:

Unter Bindung versteht man eine enge emotionale Beziehung zu jemandem, zu dem oder der man sich hingezogen fühlt oder als abhängig erlebt. In der Entwicklungspsychologie verstehen wir unter Bindung die emotionale Beziehung des Kleinkindes zu seinen ständigen Betreuungspersonen. In der Regel sind dies die Eltern.

Prof. Dr. Alexander Grob

Woran erkennt man, ob ein Kind gesunde Beziehungen hat?

Pionierin der Erfassung gesunder und problematischer Beziehungen im Kleinkindalter war Mary Ainsworth. Sie entwickelte den «Fremde-Situation-Test». Dabei werden 11 bis 18 Monate alte Kinder in einer natürlichen, dem Kind nicht vertrauten Umgebung mit einer fremden Person hinsichtlich Spiel-, Erkundungs- und Bindungsverhalten beobachtet, während die Mutter den Raum verlässt und wieder zurückkehrt. Anhand der Bewältigung dieser Situation durch das Kind und seiner Reaktion auf die Rückkehr der Mutter lassen sich vier Bindungstypen identifizieren:

  • Sicher gebundene Kinder sind emotional offen und verleihen ihren Gefühlen Ausdruck. Sie entwickeln aufgrund elterlicher Feinfühligkeit die Zuversicht, dass Bindungspersonen zuverlässig für sie da sind.
  • Unsicher-vermeidend gebundene Kinder reagieren scheinbar unbeeindruckt, wenn die Bindungsperson den Raum verlässt. Sie spielen und erkunden den Raum. Kommt ihre Bindungsperson zurück, ignorieren die Kinder sie und suchen mitunter eher die Nähe einer fremden Person.
  • Unsicher-ambivalent gebundene Kinder erscheinen zugleich ängstlich und abhängig von der Bindungsperson. Geht die Bindungsperson weg, belastet die Kinder dies sehr. Die fremde Person wird ebenso gefürchtet wie der unbekannte Raum. Grund dafür ist das ambivalente Verhalten der Bindungsperson, die sich mal feinfühlig, dann wieder abweisend zeigt. Dies ist für das Kind schwer einschätzbar, sodass dessen Bindungssystem ständig aktiviert sein muss. Dieser Zustand schränkt sein Neugier- und Erkundungsverhalten ein.
  • Desorganisierte Kinder erstarren, drehen sich mitunter im Kreis und neigen zu völliger Emotionslosigkeit. Eine Interpretation dieses Verhaltens ist, dass die Bindungsperson, die eigentlich Schutz bieten soll, im Verlaufe der Erfahrung des Kindes auch eine Bedrohung darstellte. Das Kind befand sich so permanent in einer «Doppelt-gebundenen Situation» (die Bezugsperson stellt zugleich Schutz und Bedrohung dar), aus der es keinen Ausweg gibt.

Prägen die Bindungstypen auch das spätere Leben?

Der «Fremde-Situation-Test» wird bis zum Alter von fünf Jahren eingesetzt. Verschiedene Studien zeigen, dass die Bindungstypen im Erwachsenenalter stabil bleiben. Gravierende Veränderungen der eigenen Beziehungen können das Bindungsverhalten jedoch beeinflussen – positiv wie negativ. Für Erwachsene erfasst man den Bindungstyp mit einem standardisierten Interview. Diese Interviews haben belegt, dass Bindungsmuster an die nächste Generation weitergegeben werden können. So zeigte sich, dass Kinder, deren Eltern über sichere Bindungen verfügten, selbst überwiegend einen sicheren Bindungstyp aufweisen. Wogegen Kinder, deren Eltern von unsicheren Bindungen geprägt waren, selbst oft durch unsicher-vermeidendes Bindungsverhalten auffallen.

SOS-Kinderdorf kümmert sich um Kinder, die ihre Eltern und Familien verloren haben. Wie kann der Verlust solcher Bezugspersonen ausgeglichen werden?

Eine sichere Bindung zu einer oder mehreren Bezugspersonen ist für das Kind Grundlage für die Erfahrung, dass die Welt ein sicherer Ort ist, an dem sich jemand zuverlässig um einen kümmert. Diese Erfahrung wird verinnerlicht und dient später unter Belastung als Basis für das Vertrauen in andere Bezugspersonen. Besteht die Früherfahrung jedoch daraus, dass Schutz in Gefahrensituationen und bei Unwohlsein nicht gewährleistet ist oder das Verhalten der unmittelbaren Bezugspersonen nicht vorhergesagt werden kann, fördert dies einen unsicheren Bindungsstil zu den Bezugspersonen. In der Regel erfolgt der Aufbau einer sicheren Bindung durch die Eltern. Dies kann jedoch ebenso durch andere verlässliche, feinfühlige und umsorgende Betreuungspersonen gegeben sein.

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Inhaltsverantwortlich:

David Becker

Wenn ich Content in Wort und Bild erarbeite, begeistert mich das grosse Ganze und berühren mich die feinen Details.

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