Heute kann er auf eine erfolgreiche Profikarriere zurückblicken. Einen Höhepunkt bildete die Saison 2018, in der er mit dem BSC YB nach 32 Jahren den Meistertitel holte. Als Folge debütierte Marco Wölfli mit 36 Jahren als ältester Schweizer Fussballspieler in der Champions League. Der ehemalige Schweizer Nationaltorhüter (11 Länderspiele) erzählt im Interview, wie sein Talent entdeckt und gefördert wurde und was er seinen Kindern diesbezüglich mit auf den Weg geben will.
Marco, wann hast du angefangen, Fussball zu spielen?
Meine Mutter schenkte mir meine ersten Fussballschuhe im Alter von vier Jahren. Aber im Verein angefangen habe ich mit sechs Jahren.
Standest du von Anfang an im Tor?
Ich kam mit sechs oder sieben Jahren ins Tor, weil ein Torhüter fehlte. Aber bis ich 14 Jahre alt war, habe ich oft im Tor und auf dem Feld gespielt. Da war ich je eine Halbzeit Torhüter und Feldspieler. Für die Trainier war das eine Art Geheimwaffe (lacht), weil ich auch draussen spielen konnte.
Hast du in deiner Kindheit auch andere Sportarten ausprobiert?
Ich habe gerne Leichtathletik gemacht. Eigentlich habe ich auch alle Ballsportarten gerne gespielt, aber Fussball war immer meine Leidenschaft. Ich war nie der Typ, der unbedingt Profi werden wollte. Ich hatte Freude am Sport und Fussball hat immer am meisten Spass gemacht.
Wer hat dein Talent entdeckt? Wann war das?
Ich durchlief meine Juniorenzeit bis zu den C-Junioren beim FC Fulgor Grenchen. Mit 15 Jahren erhielt ich eine Einladung für ein Sichtungstraining der Solothurner Auswahl. Ich spielte dann für ein Jahr in der U-15-Mannschaft des FC Solothurn und stand in der Juniorenauswahl der Schweizer Nationalmannschaft. Nach diesem Jahr wurde ich für ein Sichtungstraining des BSC Young Boys eingeladen und wechselte anschliessend in deren U-17-Mannschaft, wo ich vom legendären Wale Eich trainiert wurde.
Fussball stand damals an erster Stelle und jede freie Minute verbrachte ich mit dem Ball auf dem Rasen. Mir kam sicher zugute, dass ich auch gerne draussen gespielt habe. Als Torhüter brauchst du neben Talent und Vertrauen eine gewisse Aggressivität, schnelle Reflexe, Technik und den Mut, hinzustehen. Das Wichtigste für mich war aber immer der Spass.
Hast du selbst gemerkt, dass du besonders talentiert bist?
Nein, dazu habe ich mir keine Gedanken gemacht. Mit 15 Jahren begann das Fördertraining. Ich habe alles für den Fussball gemacht und auch im Training immer mehr gemacht, länger trainiert. Aber für mich war das normal, weil ich Freude daran hatte. Ich hatte ein gesundes Selbstvertrauen, bin aber immer mit beiden Beinen am Boden geblieben. Bodenständigkeit habe ich von meinen Eltern gelernt, das war und ist mir wichtig. Durch die Talentförderung habe ich gelernt, an mir zu arbeiten und mich weiterzuentwickeln. Die Freude am Fussball habe ich mir nie nehmen lassen. Ich ging jeden Tag mit Freude ins Training. Dass ich Profi geworden bin, hat sich automatisch ergeben. Aber ich hatte auch ein Leben neben dem Fussball, das schon!
Wie haben dich deine Eltern unterstützt?
Meine Eltern waren immer für mich da, haben viel Taxidienst geleistet. Bei wichtigen Entscheidungen haben sie mich unterstützt, ohne mir reinzureden. Mein Vater war bei Verhandlungen dabei, hat sich aber nicht eingebracht. Ich finde, sie haben das richtige Mass gefunden. Kinder müssen sich selbst entwickeln und durchsetzen, da ist es gut, wenn sich die Eltern nicht zu stark einmischen.
Gab es Vorbilder, zu denen du aufgeschaut hast, und die dich inspiriert haben?
Oliver Kahn und Fabien Barthez. Die Verbissenheit und Winner-Mentalität von Oliver Kahn in Kombination mit der Lockerheit und fussballerischen Stärke von Fabien Barthez ergäbe für mich den perfekten Torhüter.
Hast du voll auf den Fussball gesetzt oder auch einen Beruf erlernt oder studiert?
Ich habe eine Lehre als Hochbauzeichner angefangen. Architektur war schon damals meine zweite Leidenschaft. Aber als ich im Alter von 17 Jahren meinen ersten Profivertrag beim BSC YB erhalten habe, musste ich mich entscheiden. Ich hatte zu viele Absenzen in der Schule und damals gab es noch nicht die gleichen Möglichkeiten wie heute. Deshalb habe ich die vierjährige Lehre nach zweieinhalb Jahren abgebrochen. Meine Eltern haben mir bei diesem Entscheid den Rücken gestärkt, darüber bin ich sehr dankbar. Auch der Lehrbetrieb hat mich super unterstützt und Verständnis gezeigt. Mein damaliger Chef ist heute noch eine Vertrauensperson und wir stehen in Kontakt.
Heute bist du wieder in der Immobilienbranche tätig. Wann und wie hast du dich aufs Karrieren-Ende vorbereitet?
Schon während meiner Karriere habe ich meine eigenen Liegenschaften selbst verwaltet. Ich habe Erfahrungen gesammelt mit Verwaltungen, als Bauleiter und in der Zusammenarbeit mit Notaren und Banken. Es kam oft vor, dass ich vor dem Training, das meistens um 8.30 Uhr begann, noch schnell auf einer Baustelle vorbei ging. Und während andere Games spielten, habe ich Baupläne korrigiert oder Administratives erledigt. Da ich viele Leute kenne, gab es immer jemanden, den ich fragen konnte, wenn ich irgendwo anstand. So habe ich mir alles Wissen im Selbststudium angeeignet. Es ist wie im Fussball, es interessiert mich, ich habe Spass daran. Ungefähr anderthalb Jahre vor Karriere-Ende kam es zum Austausch mit den Verantwortlichen von Adlatus und wir haben schnell gemerkt, dass wir gleich ticken. Ich konnte dann in die Firma einsteigen und bin nun dort für den Verkauf und die Vermarktung zuständig. Es ist eine kleine Firma und die Verantwortung ist gross. Das ist wie im Fussball. Ich bin dankbar, dass ich das machen kann. Die Arbeit ist interessant, abwechslungsreich und kreativ. Und wie gesagt, Architektur war schon immer meine zweite Leidenschaft.
Reicht Talent, um erfolgreich zu sein? Was braucht es aus deiner Erfahrung darüber hinaus?
Es braucht schon viel Talent. Heute ist alles noch viel kanalisierter, es gibt viele Tests auf dem Weg zum Profi. Aber nur Talent oder nur harte Arbeit reichen nicht. Es braucht eine gute Mischung aus beidem. Wichtig ist auch, dass man an den Stärken ebenso arbeitet wie an den Schwächen. Es braucht Vertrauen in sich selbst und dass man mit Druck umgehen kann. Natürlich muss man gerne trainieren und ein bisschen Glück haben. Den einen, richtigen Weg gibt es nicht. Jede:r muss den eigenen Weg finden und gehen.
Hast du bei deinen Kindern auch schon Talente entdeckt? Wie förderst du diese?
Ich nehme da gerne meine Eltern als Vorbild und will meine beiden Jungs unterstützen und für sie da sein. Es kommt auf die Leidenschaft an. Im Moment sollen sie ausprobieren, was sie gerne machen. Der Ältere (10 Jahre) hat mit sechs Jahren angefangen Fussball zu spielen, fand aber, dass er das auch später wieder machen könne. Aktuell spielt er Unihockey und Klavier. Der Jüngere (8 Jahre) macht Judo. Ich finde es gut, wenn sie vielseitig interessiert sind. Hauptsache, sie haben Freude an dem, was sie machen.